Ecopop : wie wir die Kontrolle über die Einwanderung verlieren

Für viele Bürger könnte die Abstimmung über Ecopop am 30. November nochmals die Möglichkeit bieten, die Kontrolle über die Einwanderungspolitik nochmals zu verstärken. Aber der Schein trügt und der Initiativtext würde dazu führen, dass wir die Kontrolle über unsere Einwanderungspolitik verlieren. Die Ecopop Initiative führt zu einer Abwärtsspirale der Einwanderung. Nach folgendem Zahlenbeweis verliert die Schweiz die Instrumente ihrer Einwanderungspolitik.

Die Initiative verlangt, dass „Die ständige Wohnbevölkerung in der Schweiz (…) infolge Zuwanderung im dreijährigen Durchschnitt nicht um mehr als 0,2 Prozent pro Jahr wachsen (darf)“. Daraus ergibt sich die „Ecopop-Gleichung“: die Anzahl Auswanderer + 0.2% Wachstum = Anzahl Einwanderer.

Wenn Ecopop sofort umgesetzt werden sollte, würde die Gleichung wie folgt aussehen: 93'000 (Anzahl Auswanderer, im Schnitt, zwischen 2007 und 2013) + 16'000 (Wachstum um 0,2% der aktuellen Bevölkerung von 8 Mio) = 109'000 erlaubte Einwanderer. Diese Zahlen stammen von der Homepage der Initianten und werden kaum eine Kontroverse auslösen. Nach Einschätzung von Ecopop würde die Inititive nur eine Senkung der Einwanderung um einen Drittel mit sich bringen (160‘000 ohne Initiative, 109‘000 mit). Diese Obergrenze von 0.2%, welche in der Bundesverfassung verankert sein soll, stellt ein grosses Flexibilitätsproblem dar, obwohl diese Flexibilität so wichtig wäre für die Verteidigung der Interessen der Schweiz. Aber noch viel schlimmer: Der Text löst einen Mechanismus aus, der unsere Politik unkontrollierbar macht.

Um diesen Effekt zu verstehen, müssen wir uns erstmals auf eine der Kernelemente der „Ecopop-Gleichung“ konzentrieren: die Anzahl Auswanderer aus der Schweiz. Diese Auswanderer sind mehrheitlich Ausländer. Im Jahr 2013 haben 73‘000 Ausländer die Schweiz verlassen, hingegen nur 29‘000 Schweizer. Interessant ist, dass die Anzahl Schweizer, die das Land verlassen, sich kaum geändert hat in den letzten 20 Jahren.

Wieso interessieren wir uns für die Anzahl Auswanderer? Dieser Punkt ist zentral: Wenn die Initiative angewendet werden sollte, würde die Einschränkung der Einwanderung auch eine grosse Auswirkung auf die Auswanderung haben. In anderen Worten: Weniger Ausländer die einwandern, heisst automatisch auch weniger Ausländer die wieder auswandern. Diese Senkung der Auswanderung würde sich wieder negativ auf die Anzahl zulässigen Einwanderer auswirken. Der Teufelskreis ist mechanisch: Weniger zugelassene Einwanderer, weniger (ausländische) Auswanderer die wieder auswandern, heisst wiederum noch weniger zugelassene Einwanderer, usw… Diese unselige Mechanik wird noch zusätzlich durch die Angst verstärkt, nicht zurückkommen zu können. Wer würde das Auswandern riskieren im Wissen, dass eine Rückkehr vielleicht nicht möglich sein wird?

Eine schnelle Analyse der Zahlen der Neunzigerjahre bestätigt diesen Mechanismus. Zwischen 1991 und 1997 ging die Einwanderung der Ausländer in die Schweiz von 133’000 (1991) auf 70'000 (1997) zurück oder um 48% (BFS). Mit einer Verzögerung von wenigen Jahren zeigte sich ebenfalls die Auswirkung auf die Auswanderung. Die Auswanderung der Ausländer ging von 86‘000 (1992) auf 51‘000 (2003) zurück, was einem Rückgang von 41% entspricht.

Wo würde diese Mechanik des Kontrollverlusts aufhören? Wenn wir die Elemente der „Ecopop-Gleichung“ betrachten, können wir nur über das Gleichgewicht spekulieren. Schauen wir uns die Unbekannten der Gleichung an. Das erlaubte Wachstum von 0.2% der Bevölkerung bleibt zwischen 16‘000 und 18‘000. Die Anzahl Auswanderer besteht einerseits aus dem Wanderungssaldo der Schweizer von 6‘000 pro Jahr. Der wichtigste Datenpunkt wäre die Anzahl Ausländer, welche wieder ausreisen, nachdem sie in die Schweiz gekommen sind. Darüber kann man leider nur spekulieren. Mit den vorhandenen Daten scheint es glaubwürdig, dass etwa die Hälfte die Schweiz wieder verlässt. Nach dieser Schätzung würde sich die „Ecopop-Gleichung“ dann stabiliseren, wenn folgendes Equilibrium erreicht ist: 21'000 Auswanderer (6'000 Schweizer und 15'000 Ausländer) + 16'000 (0,2% von 8 Millionen) = 37'000 erlaubte Einwanderer

Diese letzte Schätzung zeigt klar zwei Punkte auf. Auf der einen Seite bringt die Ecopop Mechanik die Schweiz zu einem Verlust der Kontrolle über die Einwanderung. Wir liefern unsere Einwanderung einer Mechanik aus, die unseren Interessen nicht dient. Auf der anderen Seite ist es klar, dass die Ecopop-Mechanik die Einwanderung stark reduzieren wird, sogar massiv. Man kann sich den politischen Kampf vorstellen, wenn es darum geht die 40‘000 Erlaubnisse zu verteilen. Pikanterweise zeigt Ecopop auf ihrer Homepage die Anzahl Asylbewerber (21‘000 in 2013, nach ihren Zahlen) und die Hochzeiten mit einem Schweizer Bürger oder Bürgerin (14‘000 in 2013). Es würden also nur noch 5'000 „Eintritte“ für die Wirtschaft übrige bleiben. Hätten der Asylbereich oder der Familiennachzug Vorrang gegenüber dem Personalbedarf unserer Spitäler? Hätten die Spitäler Vorrang gegenüber dem Baugewerbe? Der Text ist sowohl radikal und Auslöser für einen extremen Teufelskreis. Hüten wir uns davor, diesen Weg zu wählen.

 

Johan Rochel, Vizepräsident von foraus ­– Forum Aussenpolitik

Mikael Portmann, dipl. Physiker, Unternehmer in Zürich

 

La version française de cet article est parue dans L'Hebdo du 20 novembre 2014.

Johan Rochel

Dr. en droit et philosophe, Johan Rochel est chercheur en droit et éthique de l'innovation. Collaborateur auprès du Collège des Humanités de l'EPFL et membre associé du centre d'éthique de l’université de Zürich, il travaille sur l'éthique de l'innovation, la politique migratoire et les questions de justice dans le droit international. Le Valaisan d'origine vit avec sa compagne et ses deux enfants entre Monthey et Zürich. Il a co-fondé "ethix: Laboratoire d'éthique de l'innovation" (www.ethix.ch)